aus: Cornelius Kolig, Das Gynäkologische Kreuz, 12 Installationen für die Stimulette, Ritter, Klagenfurt, 1979

koligs maschinen entstehen in einem fortgeschrittenen abschnitt der kultur des industrialismus. dieser ist unter anderem durch die schroffe trennung der arbeitswelt von der privatsphäre gekennzeichnet. das soziale ambiente, in dem der arbeitsprozeß angesiedelt ist, erzeugt die spannungen, deren abbau an die konsum- und die sexfront verlegt wird. während die konsumgüterindustrie mit der ,produktdifferenzierung‘ aus den ablegern der kunst eine hochqualifizierte warenästhetik aufbaut deren allgemeinverständlichkeit die jeder (noch so demokratischen) kunstsprache weit übertrifft – schwindet das,,bewußtsein in bezug auf sinnliche phänomene“. daß es weitgehend unterentwickelt bleibt, führt martin damus auf,,zweckorientiertes und sachrationales denken und handeln“ zurück. 1) dagegen kommt auch die (schein-)liberalisierung der sexualität nicht auf, die umso eher geduldet wird, als sie ermöglicht den tauschwert auf die ästhetisch-erotische ebene auszuweiten – ,,als systematische produktion von schönheit in synthetischer reinheit und plastischer sexualität“. 2) die sinnlichkeit stellt, so wulff, ,,den ansatzpunkt her für die realisierungsmöglichkeiten des warenkapitals“.3)

Cornelius Kolig, Das Gynäkologische Kreuz
dementsprechend werden die triebansprüche durch die werbestrategie gelenkt. der körper, zu einem objekt degradiert, das in erster linie angeschaut werden soll, wird fremd als ,,träger seiner eigenen abstraktion – eingespannt in die latente perversion von voyeurismus und exhibitionismus“. 4) die liberalisierung schlägt in ihr gegenteil um. das sexuelle erleidet einen, wertverlust‘. 5) die binsenweisheit trifft zu, daß die reaktionen auf die gewohnten reize stetig schwächer werden. in steigendem maẞ wird,, befriedigung über die dinge“ angestrebt. 6)
mit den,,tactiles“ hat kolig ein programm zur erfahrung und differenzierung von reizqualitäten erstellt.“ seine neuen arbeiten knüpfen hier an, verlegen aber das schwergewicht auf die erotischen reize. das kernstück aller, zu diesem projekt verwendeten apparate, ist ein reizstromgerät die serienmäßig hergestellte ,stimulette‘, die sonst zu therapeutischen zwecken gebraucht wird. der stromkreis wird jeweils über den menschlichen körper geschlossen.
ein kriterium der semiotik der kolig’schen kunstsprache ist die mehrdeutigkeit der informationstragenden elemente. so sind die bestandteile des ,gynäkologischen kreuzes‘ hinsichtlich ihrer bedeutung vorbestimmt durch den ursprünglichen gebrauch. der klinische behelf – fern von jedem geschleckten styling – wirkt in seiner kühlen sachlichkeit beklemmend. die leicht überdimensionierten, mehr als der erwartbaren beanspruchung standhaltenden konstruktionsteile verweisen auf das ausgeliefertsein, die kreuzform selbst ist mit gehalten aus der christlichen mythologie aufgeladen. der zusammenhang mit dem strafvollzug kehrt wieder, wenn kolig eine verwendungsmöglichkeit als ,elektrischen stuhl‘ vorsieht. zudem wird die hilflosigkeit thematisiert; – in einem gebiet, wo männer über frauen herrschen, wo die lust an der macht die distanz zur ursprünglichen lustquelle angibt.8)

Cornelius Kolig, Das Gynäkologische Kreuz
bei den elektrischen ,fußrasten‘ wird der stromkreis über die beine und die genitialzone geschlossen; beim ,elektrischen stuhl‘ wird die möglichkeit offen gelassen, die reizstärke ins extreme zu steigern. im gegensatz dazu ist für die reaktionen auf die reize eine obergrenze durch den exitus festgelegt. damit wird ein problemkreis berührt, den die kunst des vergangenen jahrhunderts zu einem ihrer generalthemen hochstilisiert hat: die erotisierung des todes. 9) dabei kehrt die in der antike angenommene verbindung zwischen eros und thanatos wieder, auf der auch die annahme eines,todestriebes‘ bei freud beruht.10) sinnlichkeit, hier in die autoerotik verschoben, wird mit technischer hilfe bis zu einem zustand des,,außer-sich-selbst-seins der ekstase“11) gesteigert. bis zu diesem schwellenwert ist die maschine unter kontrolle, die reaktionen in einem durch sie aufrechterhaltenen kreislauf sind kalkulierbar, darüberhinaus wird jene, zuvor durch ratio und/oder sublimierung in der latenz gehaltene variante der autodestruktion möglich als überhöhung einer tendenz von lust, die – hier in das feld der ästhetik gerückt, „wesentlich ihre eigene steigerung und verfeinerung will“. 12) die aufrechterhaltung dieses ästhetischen zustandes bedarf der reizverstärkung, welche ihn selbst in sein gegenteil umkehrt (doch die längst gängige integration von antikunst in die künste bestimmt auch in diesem fall die permanenz der ästhetik).
koligs erweitertes programm sieht vor, daß die von der ,stimulette‘ ausgehenden impulse über einen partner vermittelt werden. diejenigen partien des körpers werden erotisiert, an denen die partner einander berühren und dadurch den stromkreis schließen. in der sphäre der kunst, initiiert durch die maschine, erfährt der mensch seine sinnlichen möglichkeiten – die deutung der ars amandi als aufgehen der kunst in der alltäglichkeit müßte zwingend die gesellschaftliche irrelevanz der kolig’schen aussage nach sich ziehen. erst die polarisierung des artifiziellen mit dem alltäglichen bewirkt, daß ,,die in der kunst gestaltete welt als wirklichkeit erkannt“ wird, die ,,in der realen welt unterdrückt und verfälscht ist“.13) hier evoziert der künstler die kritik an einem system, in dem der lustgewinn in den konsum von dingen verlegt wird, als kärglicher ausgleich für das unbehagen im alltag, an der arbeit, und als folge einer nach wie vor repressiven sexualmoral. denn die forciert die verdrängte form der bedürfnisbefriedigung, welche ihrerseits die ersatzfunktion der waren gewährleistet: in einem zyklus, in dem sie ,,alle sinnenerlebnisse außer dem direkten sexuellen kontakt“ bieten 14) und so ein vakuum aussparen, das ihren neuerlichen bedarf vorschreibt. als ursache für die,,macht des scheins“, der in der warenwelt dominiert, nennt w. f. haug die versagte wirklichkeit. 15) die ,,gesteigerte differenzierung der lust“16) wäre also für eine derartige organisation des verbrauchs untragbar.

Cornelius Kolig, Das Gynäkologische Kreuz
hatte kolig schon mit seinen, reizspendern‘ die sensibilisierung im taktilen bereich angestrebt, so tritt dieses thema bei einigen zusatzteilen zur, stimulette‘ (elektrische schnur, bleiplatten) erneut zutage. damit richtet er sich gegen die einschränkung der sinnlichkeit auf die genitalen zonen vor dem hintergrund eines auf leistung und haptifizierung fixierten denkens, gegen eine auf die momentane befriedigung ausgerichtete haltung also, zu der es ,,wenig sensibilität für den partner und keines emotionalen aufwandes“ bedarf. 17) sie wird vielfach aus der verkümmerung der partialtriebe im laufe des sozialisierungsprozesses erklärt.
mit dieser problematik schließt er auch an den ,leibstuhl‘, den ,elektrischen becher‘, das ,knieurinal‘ und die,vaginaldusche an. wenn kolig zeichnerisch variationsmöglichkeiten für den einsatz des schwellstromgerätes im analgebiet entwirft, so stellt er den zusammenhang der von der entwicklungspsychologie aufgestellten these her, daß die in der analen phase des kindes verteufelte lust spätere aggressivität bewirken kann – hier wird sie mit dem ,elektrischen arschdorn‘ und der ,elektrischen pfählung‘ demonstriert.
der bezug auf die aggressivität wird auch beim, elektrischen wasserstrahl‘ deutlich. die zeichnung präsentiert eine anordnung, die an archaische bestrafungsmodalitäten erinnert. sie spielen sich im privatbezirk ab, an einem platz also, der durch tabuisierung freigehalten ist für die ersatzweise befriedigung – und sei es durch gewalt und macht. freigehalten deshalb, weil die energie, und selbst auf dem weg der aggression, abgebaut werden kann, ohne den sozialen status quo anzutasten. die liberalisierung stabilisiert ihn. unlust wird in dem bis zur gewalttätigkeit intensivierten genuß freiwillig übernommen, ganz im gegensatz zum alltäglichen unbehagen – als dürftiger rest einer pervertierten freiheit.
wilhelm reich legt die perversion als ergebnis der,, abtrennung sexueller energie von ihren ursprünglichen genitalen zielen“ aus; durch die,,hemmung der genitalität werden alle prägenitalen ansprüche mit energie überbesetzt“. 18) kolig behandelt dieses problem. im analen und oralen bereich setzt er einen rückgriff auf die prägenitalen lustqualitäten vor dem fond eines verselbständigten konsumzirkus.

Cornelius Kolig, Das Gynäkologische Kreuz
mit dem,elektrischen becher‘ können, synthetische gefühle‘ erzeugt werden. damit wird ein verhalten angesprochen, das in der,einverleibung‘ die erfüllung sieht. zuerst als experiment konzipiert, wird der potentielle negative ausgang – im tod – nicht weggeleugnet. die geste der einverleibung steht als signifikant für die fehlende bereitschaft zum teilen einer annehmlichkeit, für die beschlagnahmung – auch für die von gefühlen. die neutralität des quasi wissenschaftlichen versuches hier: ungenützte reizempfänger zu aktivieren – schließt nicht aus, daß die erkundeten fakten den ursprünglichen absichten widersprechend verwendet werden: nicht als erweiterung, sondern als ersatz. dies betrifft auch das,knieurinal‘ und die, vaginaldusche‘, in denen der autoerotische gesichtspunkt verstärkt zum tragen kommt.
den ,elektrischen kuß‘ bezieht kolig auf die ersatzgefühle und die mechanismen ihrer vermittlung. er bietet zwar die identifikation der lippen aus weichschaum (die die kontakte bilden) mit den realen an, demaskiert aber die illusion, indem sie, auf einer stange befestigt, aus der distanz auf den kußempfänger hindirigiert werden können. – die erfüllung eines einfachen anspruches mit einem überaus komplizierten instrumentarium war ein inhalt des ,großen glases‘ von marcel duchamp. ein element das die ,junggesellenmaschine‘ konstituiert, fehlt bei kolig – der kreislauf, der sich aus sich selbst erneuert. er deckt ihn in der realität auf, aber er stellt ihn nicht als modell dar. einer der zahlreichen impulse, die den circulus vitiosus in schwung halten, wird herausgelöst und drastisch überhöht zum thema des kunstgegenstandes.
beim gesamten programm der, stimulette‘ gehen die reize von der maschine aus. die mechanistischen auffassungen behaupten – ungeachtet der übertragungsform – die konstanz der reizqualität. die bloß mechanische reaktion ist nur durch die einschaltung des menschen zu umgehen, jenes unverläßlichsten und bockigsten gliedes zwischen den maschinen, auf dessen substitution im produktionsprozeß die technologie aus ist. die maschinelle optimierung der sinnlichkeit ist in die kunstwirklichkeit verlagert, welche die soziale wirklichkeit, hier an emission der glückhaftigkeit, übertrifft. die fiktion wird zum widersacher jener faktizität, auf welche sie – wenn auch ungefragt – antwortet.
arnulf rohsmann
Das Gynäkologische Kreuz war mit den dazugehörigen Zeichnungen in der Neuen Galerie Staatliche Kunstsammlungen Kassel von 1979 bis 1982 ausgestellt.
- 1) martin damus: funktionen der kunst im spätkapitalismus. frankfurt 1973, s. 112.
- 2) herbert marcuse: die permanenz der kunst. münchen 1977, s. 69.
- 3) erich wulff: in: wolfgang fritz haug: warenästhetik, sexualität und herrschaft. frankfurt 1972, s. 9.
- 4) w. f. haug: warenästhetik. a. a. o., s. 174.
- 5) peter gorsen: sexualästhetik. reinbeck 1977, s. 20.
- 6) richard lacher: lustprinzip. erlangen 1975, s. 97.
- 7) s. cornelius kolig: tactiles. innsbruck 1977.
- 8) vgl. lacher, a. a. o., s. 44, s. 117.
- 9) werner hofmann: das irdische paradies. münchen² 1977, s. 226.
- 10) annemarie und werner leibbrand: formen des eros. freiburg 1972. bd. 2, s. 39.
- 11) ebda.
- 12) herbert marcuse: zur kritik des hedonismus. in: kultur und gesellschaft. frankfurt 1970. bd. 2, s. 151.
- 13) marcuse, permanenz, a. a. o., s. 16 f.
- 14) gorsen, a. a. o., s. 89.
- 15) haug, a. a. o., s. 151.
- 16) marcuse, hedonismus, a. a. o., s. 151.
- 17) anton-andreas guha: sexualität und pornographie. frankfurt 1976. s. 149.
- 18) wilhelm reich: einbruch der sexualmoral. graz 1971 (1931). s. 23.